
Thematik
Dr. Stephan J.
Lang, Dipl. sc. pol. Univ.
Die Staaten der Europäischen Union haben
auf wirtschaftlichem Gebiet innerhalb der Gemeinschaft bereits einen
hohen Integrationsgrad erreicht. Der am 7. Februar 1992 in Maastricht
unterzeichnete Vertrag über die europäische Union bot
den Mitgliedstaaten die dafür rechtliche Grundlage. Jüngstes
Beispiel für die geglückte wirtschaftliche und monetäre
Zusammenarbeit ist neben der Schaffung des Binnenmarktes auch die
zum 01.01.1999 offiziell eingeführte einheitliche europäische
Währung, wobei hierbei die vorgegebenen nationalen Konvergenzkriterien
letztendlich von allen Mitgliedsstaaten erfüllt werden konnten.
Dagegen sind auf dem Gebiet der Vereinheitlichung
von Rechtsnormen innerhalb der Streitkräfte in der Europäischen
Union bisher kaum Fortschritte erzielt worden, obwohl die Bundesrepublik
Deutschland sich wie kein anderer europäischer Staat darum
bemüht hat, ihre Streitkräfte in multinationale Strukturen
einzubringen. Ausdruck dieser Politik ist z.B. die Aufstellung des
Eurokorps, des Deutsch-Niederländischen Korps und die Indienststellung
des Deutsch-Dänisch-Polnischen Korps. Somit ergab sich insbesondere
für das deutsche Heer ein qualitativer Sprung von der Integration
innerhalb der NATO hin zur Multinationalität, die in den Einsatzverbänden
auf die Demonstration eines einheitlichen, nationenübergreifenden
Führungswillen abzielt, der nicht erst im Einsatz sondern bereits
im Frieden zum Tragen kommt. Die Herausforderung, die mit der Multinationalität
sich ergebenden Probleme zu bewältigen, liegt vorrangig darin,
politische Vorgaben in die Praxis umzusetzen. Diese Vorgaben resultieren
nicht zuletzt auch aus dem am 2. Oktober 1997 unterzeichneten und
zwei Jahre später in Kraft getretenen Vertag von Amsterdam,
der Europa schrittweise zu einem Raum der Freiheit und der Sicherheit
gestalten will. Auch für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik
(GASP) entwickelt der Vertrag von Amsterdam ein deutlich verbessertes
Instrumentarium, welches die EU in die Lage versetzen soll, international
ihre Interessen stärker zur Geltung zu bringen.
Die Bundeswehr
stellt eines von mehreren Instrumenten deutscher Außen- und
Sicherheitspolitik dar. Diese Politik setzt auf internationale Kooperation,
auf Krisenvorsorge und auf die Verhütung von Konflikten. Multinationalität
ist heute somit als Teilziel und Instrument deutscher Sicherheitspolitik
anzusehen, die, wie die Praxis in Ex-Jugoslawien zeigt, vor allem
unter Einbeziehung der USA im Rahmen einer gesamteuropäischen
Sicherheitsarchitektur erfüllt werden kann. Diesen Aufgaben
und den damit verbundenen Zielen sind selbstverständlich Zwischenziele
zugeordnet, die u.a. in der Heranführung östlicher Nachbarstaaten
Deutschlands an westliche Strukturen liegen sowie in der Gestaltung
einer auf Ausgleich und Partnerschaft bedachten, alle Staaten Europas
umfassenden kooperativen Sicherheitsordnung.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema "Multinationalität"
macht es zunächst erforderlich, Begriffe zu klären. Dabei
gilt es, die Formen der Multinationalität einschließlich
der Rechtsgrundlagen und oftmals auch die rechtliche Grundlagen
zu skizzieren, bevor die problemorientierten Fragen aufgegriffen
werden können. Zu Beginn soll jedoch neben dem Versuch einer
Begriffsdefinition auch ein kurzer Blick über die historische
Entwicklung der Multinationalität innerhalb des NATO Bündnisses
geworfen werden:
1. Der Begriff der Multinationalität
Im Sprachgebrauch hat sich eingebürgert,
erst dann von Multinationalität zu sprechen, wenn die Führung
multinationaler Truppenkörper regelmäßige Kontakte
aus den verschiedenen Hierarchieebenen voraussetzt. In der Regel
sind für diese Kontakte bestimmte Verfahren festgelegt, sei
es über vertragliche Vereinbarungen zwischen den beteiligten
Staaten, sei es auf der Ebene der Verteidigungsminister oder nachgeordneter
Befehlshaber, sei es in einem Korpsstab selbst durch abgestimmten
Befehl des kommandierenden Generals. Unter dieser generellen Definition
ist Multinationalität Folge der verdichteten politischen Strukturen
in Europa und in der Welt. Soweit sich hieraus keine Folgen für
die Souveränität der Staaten ergeben und ferner Anpassungsprozesse
für die rechtliche Ordnung und die Führungskulturen der
beteiligten Armeen ableiten lassen, ergeben sich aus der Multinationalität
keine ernsthaften Problem- und Konfliktfelder.
Betrachtet man die Begriffsklärungen
und den Befund bisher bestehender multinationaler Verbände
im Zusammenhang wird deutlich, daß unter dem Begriff "Multinationalität"
sehr unterschiedliche Sachverhalte subsumiert werden können.
Multinationalität hat andere Bedingungen als Binationalität
und darf auch nicht mit Supranationalität verwechselt werden.
Der übergreifende Vergleich der skizzierten Modelle zeigt,
daß die Form der Zusammenarbeit in multinationalen militärischen
Kontingenten von der Kooperation zwischen rein national zusammengesetzten
Einheiten und Verbänden bis zur Mischung von Soldaten aus verschiedenen
Ländern auf Kompanieebene erreicht.
Grundlegend können diese verschiedenen
Formen der Zusammenarbeit vereinfacht im Begriff der Kooperation
verschiedener Streitkräfte mit bestimmter Zielsetzung zugeordnet
werden. Inhalt und Motive sind jedoch Gegenstand verschiedener zwischenstaatlicher
Abmachungen und bedürfen aus tatsächlichen und rechtlichen
Gründen der Formalisierung. Während unter "Integration"
das Strukturprinzip der internationalen Stabsarbeit der NATO-Kommandobehörden
bezeichnet wird, kennzeichnet der Begriff "Multinationalität"
das Strukturmerkmal der für den militärischen Einsatz
bereitgehaltenen Truppen.
Seit dem Treffen der Regierungschefs anläßlich
der Tagung des Nordatlantikrates am 5./6. Juli 1990 in London hat
das Thema "Multinationalität" an Bedeutung gewonnen.
Dort wurde nämlich beschlossen, daß sich das NATO-Bündnis
zunehmend auf multinationale Korps abstützen wird, die sich
aus nationalen Einheiten zusammensetzen. Schon anläßlich
Ihrer Gründung als kollektives Verteidigungsbündnis wurde
Multinationalität innerhalb der NATO als ein Strukturmerkmal
gekennzeichnet. Nur durch die Bündelung ihrer Verteidigungsanstrengungen
in gemeinsame Strukturen sahen sich die Bündnisnationen in
der Lage, ihre Sicherheit angesichts der Bedrohung durch den Warschauer
Pakt zu gewährleisten. Es war der Wille der NATO - Partner,
die Multinationalität im Bündnis auch nach dem Ende des
Kalten Krieges zu erhalten. So behielten die Ziele der Multinationalität
ihre Gültigkeit:
Daß es zur Multinationalität keine
Alternative gibt, findet zunehmend Ausdruck auch in offiziellen
Dokumenten des Verteidigungsministeriums, in Vorträgen der
zuständigen Minister und des Generalinspekteurs aber insbesondere
auch in den von der Bundesregierung am 26.03. 1992 beschlossenen
"Verteidigungspolitischen Richtlinien" und offiziellen
Dokumenten wie dem Weißbuch von 1994. Demnach baut die Verteidigungsfähigkeit
Deutschlands auf der Fähigkeit zur Landesverteidigung und zur
Verteidigung der Bündnispartner als erweiterter Landesverteidigung
auf. Sie wird ergänzt durch die Fähigkeit zur Teilnahme
an kooperativer multinationaler Konfliktverhütung und Krisenbewältigung.
Kern deutscher Sicherheitspolitik ist somit Freundschaft und Zusammenarbeit
mit den Verbündeten, wobei auch die Vertiefung und Erweiterung
der europäischen Integration im Vordergrund steht, um die Handlungsfähigkeit
Europas zu stärken.
Ein weiterer, im Weißbuch von 1994,
enthaltener Aspekt deutscher Sicherheits. und Verteidigungspolitik
ist es aber auch, stabile demokratische, leistungsfähige und
ebenbürtige Partner im Osten zu gewinnen, wobei Deutschland
die westliche Prosperitäts- und Stabilitätszone über
seine Grenzen hinaus ausdehnen wird, um dieses Ziel erreichen zu
können. Neben der europäisch-atlantischen Verankerung
ist damit die enge Zusammenarbeit mit den östlichen Nachbarstaaten
gemeint.
Insofern sind dem Spektrum multinationaler
Einbindung somit kaum Grenzen gesetzt und es gewinnt aus bundesdeutscher
Sicht mit der Schaffung des Deutsch-Dänisch-Polnischen Korps
im Jahre 1998 noch einmal eine neue Dimension: Dieses Beispiel verdeutlicht,
daß Multinationalität sogar die Kooperation mit Staaten
des ehemaligen Warschauer Paktes ermöglicht, wenngleich eine
Vielzahl von Kompromissen und Lernprozessen auch zukünftig
noch notwendig sein werden. Multinationalität ist heute ein
Merkmal politischer und militärischer Strukturen, das die NATO
seit ihrer Gründung im April 1949 als kollektives Verteidigungsbündnis
kennzeichnet. Zwar scheiterten die Bestrebungen zum Aufbau der Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft in den Fünfziger Jahren, dennoch
bestanden bereits seit Beginn des Ost-West Konflikts integrierte
Führungsstrukturen der NATO. In diese ist die Bundeswehr seit
ihrem Bestehen eingebunden. Multinationale Truppenteile wie das
seit 1962 bestehende deutsch-dänische Korps LANDJUT oder auch
die 1960 aufgestellte Allied Command Europe Mobile Force (Land),
die AMF (L) belegen, daß multinationale Truppenteile auf eine
bereits langwährende Tradition zurückblicken können.
Die Streitkräfte werden grundsätzlich gemeinsam mit Alliierten
im Rahmen der NATO und WEU eingesetzt. Die Fähigkeit zur Zusammenarbeit
mit den Partnern innerhalb unterschiedlicher Führungsstrukturen
ist damit von großer Bedeutung. Die Bundeswehr trägt
damit dem bereits im Frieden durch die Einbindung multinationaler
Strukturen und die Unterstellung von Verbänden Rechnung. Die
Marine beteiligt sich an allen vier ständigen Einsatzverbänden
im Atlantik, im Ärmelkanal und im Mittelmeer (STANAVFOLANT,
STANAVFORCHAN, MCMFORMED und STANAVFORMED). Darüber hinaus
finden regelmäßig Übungen im Internationalen Rahmen
statt.
Ebenso wie die Marine ist auch die Luftwaffe
mit gemeinsam operativen Planungs- und Führungsstäben
fest in die Luftverteidigung des Bündnisses integriert. Das
Heer beteiligt sich an allen Korps in Mitteleuropa und an den schnellen
Einsatzverbänden der NATO. Darüber hinaus werden gemeinsame
Aufgaben der Luftraumkontrolle, des Lufttransportes und der Ausbildung
multinational wahrgenommen. Multinationalität fördert
damit die Integration im Bündnis und führt zu einer wirtschaftlichen
Wahrnehmung der Aufgaben. Es liegt auf der Hand, daß die Zusammenarbeit
zwischen Streitkräften unterschiedlicher Nationen - sei es
im Rahmen von internationalen Einsätzen der UNO, sei es im
Rahmen von Bündnissystemen - einer Vielzahl von Problemen gegenübersteht.
Es sind dies nicht nur sprachliche, kulturelle, historische sondern
auch wirtschaftliche sowie organisatorische Probleme, die keiner
näheren Begründung bedürfen. Auch die Wehrbeauftragte
des Deutschen Bundestages hat diesen Befund aufgrund zahlreicher
Eingaben festgestellt. Vermutlich ist es die erste offizielle Stellungnahme
zu der Problematik, die internationale Zusammenarbeit in multinationalen
Verbänden mehr Aufmerksamkeit abverlangt als bisher. In Ihrem
Jahresbericht 1995 stellt sie fest:
" ...... zwischen den nationalen Streitkräften
gibt es unterschiedliche Auffassungen zu Fragen der Inneren Führung.
UnfangreicheRechtsschutzmöglichkeiten der deutschen Soldaten
einschließlich einer spezialgesetzlichen Petitionsinstanz,
die gesetzlich geregelte Soldatenbeteiligung oder strenge Sicherheitsbestimmungen
für die Bundeswehr werden nicht von allen Partnern verstanden,
akzeptziert oder gar begrüßt. Ich halte es für dringernd
erforderlich, daß diese Thematik aufgegriffen wird. Bei allen
Bemühungen in der Praxis verträgliche und umsetzbare Regelungen
zu schaffen, muß beachtet werden, daß einschneidende
Eingriffe in die Rechtspositionen von Soldaten Sache des Parlaments
sind.Die in vierzig Jahren von der Bundeswehr bewährte Konzeption
der Inneren Führung mit dem Leitbild des Staatsbürgers
in Uniform darf nicht leiden ......"
2. Multinationalität im Spannungsfeld
von Souveränität und Integration
Vor allem die unterschiedlichen militärischen
Strukturen der Streitkräfte, die unterschiedliche Traditionen
und Führungsphilosophien (zu denen man im internationalen Umfeld
auch die Innere Führung der Bundeswehr zählen muß),
sowie die rechtlichen Probleme stehen nicht selten der Zusammenarbeit
unterschiedlicher nationaler Streitkräftekontingente entgegen.
Sieht man die verfassungsrechtlichen Grundlagen für die Aufstellung
der Streitkräfte westlicher Staaten im Zusammenhang, so ist
offenkundig, daß sie oft schon vor dem historischen Hintergrund
der Entstehung der Verfassung gravierende Unterschiede aufweisen
.
Diese verstärken sich in den jeweiligen
Wehrrechtssysteme im Hinblick auf die Rechtsstellung der Soldaten,
auf das Disziplinar- und Wehrbeschwerderecht und andere wehrrechtliche
Materien. Die gleichen Unterschiede - oft noch viel gravierender
- finden wir in den Führungsphilosophien - oder konzeptionen
der einzelnen Streitkräfte, die auf den "Truppenalltag"
gerade multinationaler Verbände "voll durchschlagen".Treffen
Streitkräfte unterschiedlicher Nationen mit jeweils unterschiedlichen
Rechts- und Führungskonzeptionen aufeinander, werden die Unterschiede
sehr schnell dann sichtbar, wenn "Zusammenarbeit" angesagt
ist. Auch die größte Bereitschaft zur Zusammenarbeit
findet an nationalen Rechtsvorschriften und Führungsgrundsätzen
häufig natürliche Grenzen. Sie werden um so offenkundiger,
desto vertiefter eine Zusammenarbeit angestrebt wird, insbesondere
dann, wenn es um die Unterstellung von Soldaten unter Befehlsträger
einer anderen Nation geht.
3. Organisationsformen multinationaler Verbände
Bestrebungen zur Vereinheitlichung rechtlicher
und organisatorischer Divergenzen auf europäischer Ebene lassen
sich bis in das Jahr 1955 zurückverfolgen. Der Vertrag über
die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), der seinerzeit
an der Ratifikation durch die französische Nationalversammlung
scheiterte, sah in Art. 132 "Europäische Streitkräfte"
vor, wobei gem. Art. 79 des EVG-Vertrages der Grundgedanke zu entnehmen
ist, daß diese Streitkräfte einer einheitlichen Regelung
unterworfen sein sollten. Mit der Errichtung einer Europäischen
Verteidigungsgemeinschaft sollte eine supranationale Organisation
entstehen, wobei der ausschließliche Verteidigungsgedanke
im Vordergrund stand. Im Falle einer damaligen Ratifikation wäre
wahrscheinlich die Problematik im Hinblick auf gemeinsame europäische
Streitkräfte in vielen Bereichen weitaus weniger brisant, wobei
allerdings eine gewisse französische Dominanz unvermeidbar
gewesen wäre.
Der politische Wille der Staaten der Europäischen
Union, im Rahmen der WEU zu gemeinsamen Streitkräftestrukturen
zu kommen ist jedoch nach wie vor gegeben. Er macht jedoch auch
die langfristige Perspektive sichtbar, daß es nicht mehr alleine
darum gehen kann, Schwachstellen in der Zusammenarbeit multinationaler
Verbände abzubauen, sondern zugleich darum, im Rahmen eines
politisch gewollten Prozesses in der Außen- und Sicherheitspolitik
innerhalb EU langfristig zu Regelungen und Bestimmungen über
"gemeinsame europäische Streitkräfte" zu kommen.
Bislang haben sich drei verschiedene Organisationsformen
für militärische Großverbände von der Brigade
an aufwärts herausgebildet, nämlich das "Lead-Nation"-Prinzip,
das "Framework"-Prinzip sowie das "Integrationsprinzip".
a) das "Lead Nation-Prinzip"
Das II. (GE/US) Korps in Ulm und das V.(US/GE)
Corps in Heidelberg sind nach dem "Lead Nation-Prinzip"
strukturiert. Die Rolle der "Lead Nation" wird im II.(GE/US)
Corps von Deutschland, im V.(US/GE) Corps von der amerikanischen
Seite wahrgenommen. Als Führungsnation ist die jeweilige "Lead
Nation" für alle die Führung und den Betrieb dieser
Korps betreffenden Angelegenheiten verantwortlich. Beide Korpsstäbe
sind national aufgebaut. Lediglich Verbindungselemente sind ständig
dem jeweils anderem Korpsstab zugeordnet. Die amerikanische Seite
hat ihr Verbindungselement beim II.(GE/US) Korps eingerichtet. Wir
unterhalten dagegen eine vergleichbare Einrichtung beim V.(US/GE)
Corps.
Das "Lead Nation-Prinzip" respektiert die nationalen Besonderheiten
der jeweiligen Führungsnation. Kompromißlösungen
sind weder für die Gestaltung der Stabsverfahren, noch bei
der Vorhaben- und Übungsplanung sowie in anderen Angelegenheiten
erforderlich. In den Stäben findet weder eine Durchmischung
des Personals noch des Denkens statt. Das ist sicher vor dem Ziel
der Multinationalität gesehen ein Nachteil.
b) das "Framework Nation-Prinzip"
Nach dem "Framework Nation-Prinzip"
ist eine Nation für Führung, Verwaltung und logistischer
Unterstützung des Hauptquartiers zuständig. Das Allied
Command Europe Rapid Reaction Corps ist nach diesem Prinzip strukturiert.
In seinem Stab stellt Großbritannien fast 70 Prozent des Personals.
Die anderen Dienstposten sind auf die 10 Nationen, die Kräfte
für dieses Korps stellen, aufgeteilt. Auch bei nach dem "Framework
Nation-Prinzip"strukturierten multinationalen Truppenteilen
findet wirkliche Multinationalität nur mit wenig Tiefe statt.
Da lediglich eine Nation für Führung, Verwaltung und logistische
Unterstützung des Hauptquartiers zuständig ist, ist ihr
Einfluß so dominierend, daß eine gleichberechtigte Zusammenarbeit
schwierig ist. Probleme bei der Aufteilung der Stellen, der Ausgestaltung
der Stabsarbeit und den Stabsverfahren sind damit nicht leicht zu
überwinden, weil die Interessen der Partner durch die "Framework
Nation" häufig nur am Rande berücksichtigt werden.
c) das "Integrationsprinzip"
Für das Eurokorps, das I. D/NL Korps
und das deutsch- dänisch- polnische multinationale Korps Nordost
kam das "Integrationsprinzip" zum Tragen. Ein Merkmal
wirklich integriert organisierter Korpsstäbe ist, daß
den teilnehmenden Partnern in allen Angelegenheiten gleiche Rechte
und Pflichten eingeräumt sind. Dies wird durch die Feststellung
von Rotationsdienstposten für besonders wichtige Führungsfunktionen
wie beispielsweise des Kommandierenden Generals, Stellvertretenden
Kommandierenden Generals und Chefs des Stabes sichergestellt. Die
Nationen besetzen im zeitlich festgelegten Wechsel diese Funktionen,
wobei in den Besetzungszeiträumen stets eine Ausgewogenheit
zwischen ihnen sichergestellt ist.
Im Sinne gleichberechtigter Teilhabe wird
nur das Integrationsprinzip der politischen Zielsetzung von Multinationalität
vollends gerecht. Das Personal der beteiligten Partner wird in den
Stäben gemischt, ohne daß eine Nation durch Zahl oder
Qualität der Dienstposten einen dominierenden Einfluß
ausüben kann. Auch finanzielle und persönliche Beiträge
erfolgen gleichgewichtig. Die nach dem "Integrationsprinzip"
organisierten Truppenteile sind für multinationale Einsätze
im Rahmen der Krisenbewältigung besonders geeignet. Dies hat
nicht nur der SFOR- Einsatz der Deutsch- Französischen Brigade
bewiesen. Auch der seit 1998 erfolgte Einsatz von großen Teilen
des Hauptquartiers des EUROKORPS im Rahmen von SFOR in Bosnien unterstreicht
dies. Vor allem die nach dem "Integrationsprinzip" organisierten
multinationalen Truppenteile können eine motorische Funktion
beim europäischen Integrationsprozeß ausüben.
Für das deutsche Heer spielen zur Ausgestaltung
multinationaler Truppenteile klare Aufgaben und Aufträge im
Frieden und im Einsatz sowie praktikable Lösungen bei der Zusammenarbeit
in den aufgezeigten Feldern eine gewichtige Rolle. Wie die langjährigen
Verhandlungen zum Straßburger Abkommen für das Eurokorps,
aber auch die Verträge für das I. D/NL Korps und die derzeit
für das multinationale Korps Nordost laufenden Vertragsverhandlungen
belegen, sind viele Aspekte von Bedeutung. Ihre Bandbreite reicht
vom Aufenthaltsrecht des Personals multinationaler Trupenteile im
Aufnahmestaat über die Befügnis des Kommandeurs /Kommandierenden
Generals zum Abschluß von Verträgen sowie der Frage des
internationalen Status und der Rechtspersönlichkeit des Hauptquartiers
bis hin zu Steuerprivilegien und weiteren Regelungen, die Gegenstand
besonderer Zusatzabkommen darstellen können.
Der Aufenthalt des Personals multinationaler
Truppenteile auf dem Territorium des Aufnahmestaats muß auf
einer rechtlich eindeutigen Grundlage erfolgen. Dabei sind die Bedürfnisse
und Anforderungen für das Personal des Entsendestaates mit
denen des Aufnahmestaates in Einklang zu bringen. Sowohl das NATO-Truppenstatut
von 1951 als auch das Pariser Protokoll von 1952 bleiben für
multinationale Truppenteile grundsätzlich unberührt. Allerdings
betrifft das Pariser Protokoll NATO-Hauptquartiere und kann deshalb
nach deutscher Auffassung nicht ohne NATO-Kommandostruktur Anwendung
finden. Dieser Punkt spielte bei der Verhandlung besonderer status-
und steuerrechtlicher Regeln in den Vertragsverhandlungen für
das Multinationale Korps Nordost eine besondere Rolle.
Multinationalität ist jedoch kein Selbstzweck
und ginge in die falsche Richtung, wenn sie nicht gleichzeitig Ausdruck
eines gemeinsamen politischen Willens wäre. Multinationalität
ist aber zugleich auch eine Chance und eine Idee, mit der nationale
Anstrengungen auf gemeinsame Ziele ausgerichtet werden.. Dies kann
nur im Rahmen der "Strategic and Operational Community"sowie
im passenden rechtlichen Rahmen gelingen.
4. Mögliche Rechtsformen multinationaler Verbände
Deshalb stellt sich nunmehr die die Frage
nach möglichen zukünftigen Rechtsformen multinationaler
Verbände. Rechtsformen bezeichnen bestimmte Konstellationen,
Strukturen oder Organisationen, die rechtlich fixiert sind. Im Hinblick
auf die Ausgangsfrage gibt es Rechtsformen auf der nationalen sowie
auf der internationalen (völkerrechtlichen) Ebene. Eine diesbezügliche
Unterscheidung ist wichtig, da davon die Frage abhängt, ob
die gewählte Rechtsform zur Rechtsfähigkeit führen
soll oder nicht. Auf völkerrechtlicher Ebene kommt noch die
Frage hinzu, ob das Gebilde, das geschaffen werden soll, rechtsfähig
nur auf fremdem (staatlichen) Territorium, oder aber auch "nach
Völkerrecht" sein soll, also in Beziehung zu anderen Völkerrechtssubjekten
treten kann
Damit lautet die primäre Frage nicht,
welche Rechtsform wählt man für multinationale Verbände,
sondern vorab die Frage, was soll damit erreicht werden. Nationales
und Internationales Recht stehen hier nicht beziehungslos nebeneinander.
Wenn das nationale Verfassungsrecht - z.B. im Sinne von Art. 24
GG - vorsieht, daß Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen
übertragen werden können, dann beschränkt sich das
vielleicht nicht allein auf "internationale Organisationen"
im völkerrechtlichen Verständnis. Jedoch kann eine Einrichtung,
die als solche im Völkerrecht "nicht vorkommt" oder
dort jedenfalls keine rechtserhebliche Rolle spielt, schwerlich
eine "zwischenstaatliche" Einrichtung gem. Art. 24 Abs.
I GG sein.
Wäre beabsichtigt, dem multinationalen
Verband oder seinem Hauptquartier Hoheitsrechte zur Ausübung
zu übertragen, müßte es sich nach deutschem Verfassungsrecht
dabei um eine o.g. "zwischenstaatliche Einrichtung" iSv.
Art. 24 Abs. 1 GG handeln. Die Frage der Übertragung von Hoheitsrechten
stellt sich beispielsweise beim Wachdienst , wenn Soldaten anderer
Nationen für Liegenschaften in der bundesrepublik Deutschland
Wachaufgaben mit allen damit verbundenen Befugnissen übernehmen.
Die Diskussion um eine eigene Rechtsform in bezug auf multinationale
integrierte Verbände, ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn damit
auch das Vorliegen einer eigenen Rechtspersönlichkeit des Verbandes
einherginge. Als mögliche Rechtsformen für die Ausgestaltung
multinationaler Verbände käme neben der "Internationalen
Verwaltungsunion" auch die "plurinationale Verwaltungseinrichtung"
in Betracht .Sie basieren auf Abkommen zwischen den beteiligten
Staaten, genießen Privilegien und Immunitäten und haben
Verwaltungsaufgaben, aber nicht notwendig souveräne Befugnisse
und Durchgriffsrechte.
Auch die die "internationale Verwaltungsunion"
würde als mögliche Rechtsform auf einen integrierten multinationalen,
wenngleich nicht auf einen binationalen Streitkräfteverband
passen. Beispiele für internationale Verwaltungsunionen sind
die internationale Fluß- bzw. Fischereikommission oder Organisation
im Bereich von Post und Telekommunikation. Beispiele für plurinationale
Verwaltungseinrichtungen des öffentlich- rechtlichen Typs wären
die Europäische Raumfahrtagentur ESA sowie EUROCONTROL und
die europäische Flugsicherungsorganisation. Da Streitkräfte
als solche im nationalen Kontext der Exekutive, also der Verwaltung
zugerechnet werden, könnten multinationale Verbände durchaus
als Verwaltungsunion oder plurinationale Verwaltungseinrichtung
konzipiert werden. Welche Funktionen, Befugnisse, Organe und Privilegien
sie haben sollen, läge letztendlich in der Hand der beteiligten
Staaten.
Darüber hinaus ist überlegenswert,
ob die Schaffung eigener Rechtsformen - in welcher Ausprägung
auch immer - nicht auch ergänzt werden muß durch Maßnahmen
auf politischer Ebene, denn Multinationalität bedeutet letztendlich
nicht nur ein Spannungsfeld zwischen Tradition und Integration sondern
auch das Dilemma zwischen Souveränität und dem Verzicht
auf Rechte. Mit dieser Perspektive umfassender Zukunftsgestaltung
ist Multinationalität ohne Alternative. gefordert ist eine
weitere Vertiefung und Erweiterung der Integration, damit am Endpunkt
dieser Entwicklung eine in die NATO integrierte, europäische
Armee stehen kann, die auch in der Lage ist, einen angemessenen
Beitrag zum Frieden in Europa und für weltweite Krisenregionen
zu leisten.
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